Das Knotengebiet im Westerwald

 

„Es liegt ein Wald im Westen, genannt der Westerwald;

da sieht man keine Festen, die Zeichen der Gewalt".

 

So dichtete Josef Hangard aus Nister um 1870. Der Westerwald also das Land von Freiheit und Abenteuer? Weit gefehlt! Wer von Weilburg aus die Höhen des Westerwald ersteigt, wird Hangards Worte leicht widerlegen können. Festen, oder zumindest ihre ruinösen Reste zeigen sich bei Löhnberg, bei Merenberg und bei Mengerskirchen. Womit der Wanderer dann die Ausläufer des Hohen Westerwaldes erreicht hat. Hangard hatte sein Gedicht übrigens auf diesen Hohen Westerwald bezogen; auf „das Land der freien Bauern". Also doch wieder ein Hauch von Freiheit? Nein. Der Westerwald war arm und die Bauern nicht frei. So prägte Wilhelm Heinrich Riehl den Begriff „vom Land der armen Leute" und kam damit den wahren Gegebenheiten schon näher. Klima und Bodenbeschaffenheit waren dafür mitverantwortlich  und haben die Bewohner geprägt. Der Wind fegte über die Höhen, im Winter türmte sich der Schnee. Eine abgeschiedene Gegend, obwohl mitten in Deutschland gelegen.

Die Natur hat sich seither nur unwesentlich verändert. Doch die Menschen haben zu Zeiten wirtschaftlichen Wohlstands andere Maßstäbe gesetzt. Abgeschiedenheit wird nicht mehr gleichgesetzt mit Hinterwäldern, unberührte Natur ist mehr als nur Wildnis. Die ehemals armen Mittelgebirge wurden aufgewertet. Landleben hat eine positive Betonung erhalten. Wer dies erfahren will, der ist zwischen Weilburg und dem Knotengebiet an der richtigen Adresse. Trotz der Umrahmung von Autobahnen und Bundesstraßen hat sich diese Landschaft ihre Eigenheiten erhalten.

Erfahren ist aber nicht gleichzusetzen mit durchfahren. Wer Landschaften, Städte und Dörfer kennen lernen will, der muss sie durchwandern. Schritt für Schritt Natur und Landschaft spüren, Geschichte atmen, Vergangenheit und Zukunft in Gedanken lebendig werden lassen. Die Landschaft am Knoten lädt dazu ein. Ungestört entlang traditioneller Wege gehen oder im Winter auf Skiern den kilometerlangen Loipen folgen. Der Wind weht übrigens hier nicht stärker als in anderen Mittelgebirgen auch, aber Wind macht den Kopf frei. Frei für neue Gedanken und sensibel für Verstecktes. Die Reste keltischer Wallanlagen sind nur noch ansatzweise zu erkennen, an verschwundene Dörfer erinnern oftmals nur Flurnamen. Wer alles über die frühgeschichtlichen Handelswege des Knotenmassivs gezogen ist, lässt sich nur erahnen. Was sich erhalten hat, sind alte Sagen und Erzählungen. Über den Einsiedler von Holzmenningen beispielsweise oder den alten Kiezebrunnen oder den mittelalterlichen Markt zwischen Arborn und Mengerskirchen. Dörfer schmiegen sich an die Hänge. Kleine Orte, so sympathisch wie die Menschen, die hier wohnen. Einer von ihnen war Adolf Weiss aus Mademühlen, dem der Westerwald-Verein auf dem Knoten ein Denkmal gesetzt hat. Weiss hat den Erkennungsruf der Westerwälder, das „Hui Wäller - Allemol" kreiert. Das Denkmal, aus Basaltsteinen am Rande einer ehemaligen Viehweide errichtet, wird von dunklen Tannen umsäumt.

Symbolisch quasi für diese Gegend, in der heute drei Kreise zusammenstoßen (Lahn-Dill, Limburg-Weilburg, Westerwald) und wo ganz in der Nähe die Landesgrenze zwischen Rheinland-Pfalz und Hessen die Krombachtalsperre durchschneidet. Hier kann es im Sommer schon mal lebhafter zugehen und auch im Winter, wenn das Gewässer zugefroren ist und zum Schlittschuhlaufen einlädt. Das ist etwas ganz anderes als in der Eishalle Runden zu drehen. Für die Skifahrer am Knoten bieten zwei Lifte ihre Dienste an. In den Hütten riecht es nach Glühwein und heißem Kakao.

Egal zu welcher Jahreszeit man den Knoten durchwandert, die Stille dieser Landschaft, ihre herbe Schönheit und die ständig neuen Bilder geben dieser Gegend etwas Geheimnisvolles. Hier ist nichts Lautes. Der Westerwald und die Westerwälder ergänzen einander zurückhaltend, etwas schwerfällig, ehrlich. Bauersleute und Bauernland. Heute zwar nicht mehr ausgeprägt, aber immer noch spürbar. Es ist ein eigener „Schlag" Menschen. Was Fremde oft als kalt und abweisend deuten, ist uralte Vorsicht. Dahinter verbirgt sich eine raue Herzlichkeit.

Wolfgang Gerz