Waldernbacher Besenbinder

»Besebinner, Besebinner - Dermocher Besebinner« - das war das spezielle Schimpfwort aus den Nachbardörfern für die Waldernbacher. Dieses »Schimpfwort« traf die Wirklichkeit bei vielen Waldernbachern; sie waren von Beruf Besenbinder. Hergestellt wurden nicht die feinen Besen aus Tierhaaren, sondern »Reiserbesen«, vorwiegend aus Birkenreisig. Ab welcher Zeit und auf welche Weise die Besenbinderei in Waldernbach heimisch wurde, ist nicht bekannt. Die Blütezeit dieses Handwerks lag wohl zwischen 1880 und 1930. In geringem Maße wurden noch in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg Besen gebunden. Zunehmend verdrängten industriell gefertigte Besen die in aufwendiger Handarbeit hergestellten Reiserbesen. Zwei Männer aus Waldernbach beherrschen heute noch die Technik des Besenbindens, haben aber schon Jahrzehnte keine Besen mehr gebunden.

 

Seit Jahrhunderten war die Landwirtschaft die wesentliche Grundlage für die Menschen in Waldernbach. Reichtümer konnten nicht erworben werden. Die Beschaffung der Besenreiser war mühevoll. In der näheren Umgebung Waldernbachs fehlten Birkenbestände. Dichte Laub- und Nadelwälder gaben wohl dieser Lichtbaumart keinen guten Standort. In den Haubergen des Siegerlandes und im Taunus, etwa in der Gegend von Idstein und Niedernhausen, wuchs das erforderliche Material. Gut geeignet waren die Stockausschläge der Hauberge oder die Zweige jüngerer Bäume. Nur im Herbst und im Winter, wenn die Birke den Saftstrom unterbrochen hatte und die Blätter abgefallen waren, konnte der Schnitt erfolgen. Deshalb galt die Regel: Schneiden nach dem ersten Frost bei trockener Witterung. So bestand keine Gefahr, dass das Reisig durch Schimmelbefall während der Lagerung Schaden nahm. Für das Bündel bezahlte man dem Förster in den dreißiger Jahren 50 Pfennige. Gleich einer Getreidegarbe wurden möglichst viele lange und kurze Reiser zu einer »Last« gebunden und diese durch nachträgliches Einstecken von Zweigen noch verlängert, so dass zum Tragen zwei Männer erforderlich waren. Mit dem Pferdefuhrwerk und später mit dem Lastwagen erfolgte der Transport nach Waldernbach. Bevor der Wagen entladen war, kehrte man in die Gastwirtschaft »Beim Hartgen« ein und genoss nach getaner Arbeit den »Dauborner«. Die wenigen Zweige der Hainbuche, der Haselnuß und der Fichte holte man aus dem heimischen Wald.

 

Als Werkstatt diente die große Stube, oft der einzige warme Raum des kleinen Hauses. Neben Bett und Tisch stand die »Besenbank«. Dieser Sitz des Besenbinders war ein starkes Brett von 1,20 m Länge und 25 cm Breite mit vier Holzbeinen. Auf dieser Bank konnte der Besenbinder auch Werkzeug und Reiser ablegen. Als Werkzeug benötigte man nur ein Messer mit gekrümmter Klinge, ein flaches Schlagholz, »Plel« genannt, und zum Vorstechen von Löchern für Holzstifte die »Pinnsaul«. Gut trockenes Holz und festes Binden waren die Voraussetzung für einen haltbaren Besen. Man fügte zunächst Birkenreisig zu einem Bund, der mit Reisig umschlungen wurde. Dieser »Rohling« hatte außen lange, innen kurze Reiser. Oft wurden in die Mitte wenige Hainbuchenzweige »gepfuscht«. Auf diese Weise sparte man Birkenreisig. Die sehr widerstandsfähige Hainbuche gab aber auch Festigkeit. Die Rohlinge wurden auf zwei Stangen über dem Herd getrocknet.

 

Eineinhalb bis zwei Meter lange frische Haselnußstöcke wurden geschält und dabei die Jahresringe eingeschnitten, so daß sie beim Biegen über dem Knie zu langen Spänen, »Schin« genannt, aufspalteten. Wenn der Haselnußstrauch auf magerem Boden gewachsen war, gewann man die Späne ohne Bruch. Solche Haselnußsträucher wuchsen z. B. am Bahndamm zwischen Waldernbach und Mengerskirchen. Aus den Spänen wurden Ringe (»Kringe«) von verschiedenen Durchmessern geschlungen. Zunächst umschlossen zwei Ringe den getrockneten Bund Reiser. Mit der Unterarmlänge wurde der Platz für den ersten Ring bestimmt. Nach dem zweiten Ring wurde mit dem »Plel« ein an beiden Enden angespitzter Fichtenstab, die »Seele«, in die Mitte der Reiser eingeschlagen. Geschälte dünne »Schinstöcke« wurden zugesteckt und von weiteren fünf Ringen mit immer geringerem Durchmesser umschlossen. Diese wurden mit Holzstiften (»Pinne«) befestigt, damit sie nicht abrutschten. Dazu stach man mit der »Pinnsaul« ein Loch durch Ring und Holz, bevor man den »Pinn« einschlug. Um dem Besen eine letzte Spannung zu geben, wurde am oberen Ende ein zweites angespitztes Rundholz, der

Ein in Waldernbach gefertigter Besen hatte sieben Ringe. Sechs Ringe galten als minderwertiges Qualitätsmerkmal. Noch heute wird zur Bekräftigung des Wahrheitsgehaltes einer Aussage die Redensart gebraucht: »... dann fresse ich einen Besen mit 7 Kringen.« Damit war also ein besonders großer Besen gemeint. Sobald der Besen durch häufigen Gebrauch abgenutzt war, konnte man durch Entfernen des unteren Ringes die Funktion wieder herstellen und damit die Gebrauchsdauer verlängern. Dieser Besen war dann noch gut für den Stall geeignet.

 

In geringer Zahl wurden auch »halbe Besen« aus Ginster hergestellt. Sie konnte man für die Reinigung im Inneren des Hauses verwenden. Ihre Fertigung war wenig aufwendig. In einen Bund aus Ginster, der mit Ringen gleich dem Besen aus Birkenreisig versehen war, wurde ein Rundstab als Stiel eingeschlagen.

Auf einem Handwagen fuhr man die Besen zum Verkauf bis in die Dörfer jenseits von Limburg, in die Gegend von Wetzlar und sogar bis Betzdorf. Um die Jahrhundertwende kostete ein Reiserbesen 10 Pfennige, später auch 20 Pfennige. Gemessen am Aufwand der Herstellung war dies ein Hungerlohn.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Reiserbesen auch für Tauschgeschäfte gebraucht. Für einen Besen erhielt der Besenbinder jeweils 5 Eier oder 2 Pfund Mehl bzw. 5 Pfund Korn oder Weizen oder ein halbes Pfund Speck.

 

W. H. Riehl nannte den Westerwald das »Land der armen Leute«. Was wir von den Waldernbacher Besenbindern wissen, bestätigt dieses Wort für ihre Zeit. Dankbar registrieren wir den Wandel zum Besseren bis in unsere Tage.

Norbert Gotthardt

Bronzefigur gestiftet von der Mengerskirchener Ehrenbürgerin EVA KRECKS